ANLAGE 3
zum Protokoll der 6. Plenarversammlung der Fachbereichsvorsitzenden der KMathF

Entschließung der Konferenz der mathematischen Fachbereiche bzgl. mangelnder Voraussetzungen an die Studierfähigkeit bei Abiturienten


Die Mathematikausbildung in der Schule gewinnt eine immer größer werdende Bedeutung für die Studierfähigkeit. Dies gilt sowohl für die fachlichen Voraussetzungen für ein Studium der Mathematik als auch für die naturwissenschaftlichen und ingenieurwissenschaftlichen Fächer und in zunehmendem Maße für andere Fachrichtungen, wie Wirtschaftswissenschaften, Sozial- und Geisteswissenschaften. Darüber hinaus hat die Mathematikausbildung nicht nur im Hinblick auf die Vermittlung von Fachwissen große Bedeutung, sondern spielt auch eine hervorragende Funktion für das Fördern der allgemeinen Studierfähigkeit, zu der z.B. Abstraktionsvermögen, Konzentrationsfähigkeit, logisch konsequentes Denken, Arbeitstechnik gehören. Ähnliches gilt anch für andere schulische Unterrichtsfächer in ihrer Funktion für universitäre Studiengänge - Sprachkenntnisse, naturwissenschaftliches Grundlagenwissen, historisches Verständnis etc.

Die KMathF verkennt zwar nicht, daß der Ausbau des höheren Schulsystems in den letzten zwanzig Jahren zu dem erfreulichen Ergebnis geführt hat, daß ein stark erhöhter Teil der jungen Generation das Abitur und Studium erreicht hat. Jedoch steht dieser positiven Entwicklung gegenüber, daß ein großer Teil der Abiturienten nicht über die obengenannte Studierfähigkeit verfügt und somit auf die Anforderungen des Studiums nicht wirklich vorbereitet ist. Dies liegt zum Teil an einer verfrühten Spezialisierung der Schüler, die durch die Abwahl anderer Fächer begünstigt wird. Während der Schüler in einzelnen Leistungskursen punktuell hochgezüchtete "wissenschaftliche" Kenntnisse vermittelt bekommt, die er oft nicht verarbeiten und in einen größeren Zusammenhang geistig einordnen kann, fehlen ihm einfache allgemeinbildende Kenntisse und Fähigkeiten auf anderen Gebieten. Hinzu kommt der bisher nicht behobene strukturelle Mangel in der reformierten Oberstufe, wonach der Schüler häufig durch Ausweichen auf leichtere Fächer sich in Gebieten spezialisiert, die für das spätere Studienfach kaum Bedeutung haben. Während also auf der Schule Universitätswissen punktuell in pädagogisch fragwürdigem Rahmen vorweggenommen wird, muß die Universität in der Schule zu erlernende Kenntnisse und Fähigkeiten nachträglich vermitteln. Für das Fach Mathematik weist die Konferenz noch einmal nachdrücklich auf die insgesamt negativ zu bewertenden Ergebnisse der durchgeführten Studieneingangstests hin. Ungeachtet herausragender Kenntnisse und Fertigkeiten Einzelner (meist in Leistungskursen o.ä. erworben), liegt im allgemeinen der mathematische Kenntnisstand der Studienanfänger unter dem für ein sinnvolles Studium erforderlichen Kernwissen. Dies gilt nicht nur für Mathematikstudenten, sondern in besonderem Maße auch für Studenten anderer Fächer, in denen Mathematik verwendet wird.

Die Konferenz hat bereits im Vorjahr 1980 auf diese besorgniserregende Situation hingewiesen. Als gültige Definition des von jedem Studienanfänger unbedingt zu fordernden mathematischen Kernwissens wird die Denkschrift der DMV 1976 zum Mathematikunterricht an Gymnasien festgeschrieben. Die dort niedergelegten Prinzipien und Inhalte des Mathematikunterrichts sollten für alle höheren Schulen, unabhängig vom Reformstand der jeweiligen Schulart, verwirklicht werden.

Aus diesen Gründen richtet die KMathF den dringenden Appell an die verantwortlichen Bildungspolitiker, die Unterrichtspläne der Sekundarstufe II von unnötigem pseudowissenschaftlichem Ballast zu befreien. Stattdessen sollte wieder vernehrt auf die Vermittlung von verwendbaren Grundlagenkenntnissen in einem breiten Fächerkanon und damit verbundenen Fähigkeiten Wert gelegt werden. Nur so kann der Studienanfänger die nötige geistige Gesamtreife und die erforderlichen fachfremden Grundkenntnisse (Fremdsprachen für Studenten der Mathematik oder Physik; Mathematik für Studenten der Volkswirtschaft; Deutschkenntnisse für Studenten der Rechtswissenschaften usw.) mitbringen. Die Lernfähigkeit ist durch Schulung des Langzeitgedächtnisses zu verbessern. Allgemeine geistige Arbeitstechniken wie zum Beispiel das selektierende Mitschreiben während eines Vortrags, das freie Referieren nach Stichworten oder die schriftliche Behandlung von Sachthemen auf Grund selbstgesuchter Literatur usw. müßten verstärkt eingeübt werden. Noch wichtiger erscheint die Hinführung des Schülers zu solidem Sachwissen als Voraussetzung für kritische Meinungsäußerung, damit er beides voneinander unterscheiden kann.


Einstimmig von der Plenarversammlung der KMathF am 25.4.1981 verabschiedet.