Prof.J.Weidmann
FACHBEREICH MATHEMATIK
DER UNIVERSITÄT FRANKFURT A.M.
Frankfurt/Main, 24.11.1976

Protokoll der Ersten Sitzung der "Konferenz der Vorsitzenden der mathematischen Fachbereiche" im Mathematischen Seminar der Universität Frankfurt, 19. November 1976, 15.15 Uhr bis 20.15 Uhr, und 20. November 1976, 9.15 Uhr bis 13.05 Uhr.

Anwesend: F.Erwe (Aachen), H.Kerner (Bayreuth), H.Lenz, W.Fandrey (FU Berlin), G.Schiffels, H.-E.Gross (Bielefeld), H.Ehlich (Bochum), W.Raab (Bonn), W.Böhm (Braunschweig), H.-P.Kinder (Bremen), L.Jantscher (Clausthal), H.Mäurer (Darmstadt), K.H.Mayer (Dortmund), K.Steffen (Düsseldorf), W.Haußmann, K.W.Wiegmann (Duisburg), H.Bauer (Erlangen), D.Schmidt (Essen), J.Weidmann, H.Dinges (Frankfurt a.M.), J.Spilker (Freiburg), G.Pickert (Gießen), G.Frank (Hagen), O.Riemenschneider (Hamburg), K. Kopfermann (Hannover), D.Puppe, H.Rost (Heidelberg), W.Thimm (Kaiserslautern), W.Walter (Karlsruhe), R.Schmidt (Kiel), N. Bazley (Köln), A.Prestel (Konstanz), H.Rüßmann (Mainz), W.Oettli (Mannheim), H.-H.Körle (Marburg), W.Heise (TU München), B.Pareigis (Uni München), G.Maltese (Münster), U.Knauer (Oldenburg), R.Vogt (Osnabrück), K.-H.Indlekofer (Paderborn), F.Tomi (Saarbrücken), U.Kahleis (Siegen), W.Mayer-König (Stuttgart), H.H.Schaefer, S.Stangler (Tübingen), H.Heineken (Würzburg), E.Ossa (Wuppertal).

Die Tagesordnung wird wie folgt festgelegt:

  1. Gründungsbeschluß
  2. Regelstudienzeit
  3. Kurzstudiengänge
  4. Kapazitätsverordnung; Richtwerte für die Personalausstattung, Lehrverpflichtung
  5. Nachwuchsförderung
  6. Doktorgrad in Didaktik der Mathematik
  7. Lehrerausbildung, Prüfungsordnungen, Studienordnungen
  8. Verschiedenes (u.a. nächstes Treffen)
TOP 1 Gründungsbeschluß. Die Konferenz faßt einstimmig den folgenden Beschluß:

Die "Konferenz der Vorsitzenden der mathematischen Fachbereiche" setzt sich aus den Vorsitzenden oder Leitern derjenigen Gremien zusammen, die an einer Universität, Technischen Universität, Technischen Hochschule oder Gesamthochschule der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Westberlin die Fachrichtung Mathematik vertreten. Sie will helfen, die Arbeit dieser Gremien und damit der Fachbereiche durch Koordinierung und gegenseitige Information zu verbessern. - Federführend für diese Aufgabe ist der Präsident der "Konferenz der Vorsitzenden der mathematischen Fachbereiche"; der jeweils für die Amtszeit von 2 Jahren gewählt wird. Dieser Präsident muß nicht notwendig amtierender Vorsitzender oder Leiter eines mathematischen Fachbereichs sein.

Die Wahl des ersten Präsidenten soll während der nächsten Sitzung stattfinden.

TOP 2 Regelstudienzeit. Die folgenden Probleme werden angesprochen: Studienpläne für ein Studium mit 8 Semestern (einschließlich Diplomarbeit) können nicht aufgestellt werden, ohne die Studenten zu überlasten. (Herr Puppe legt einen Studienplan aus Heidelberg vor, der für das Studium mit Diplomarbeit 9 S mester vorsieht; 6 Semester mit 14 Wochenstunden, 3 Semester mit 10 Wochenstunden). Manche Universitäten sehen für das Diplomstudium ohne Diplomarbeit 8 Semester vor. Bedenken gegen "taktische" Studienpläne, die hauptsächlich an der Kapazitätsverordnung orientiert sind. Die KapVo zwingt die Mathematiker, den großen Teil des Studiums, der bisher in informellen Gesprächen stattfand, zu formalisieren (Lehrseminare, Übungen, Praktika), d.h. mehr Pflichtveranstaltungen einzuführen. Die Diplomarbeit soll wesentlicher Teil des Studiums sein (eine betreute wissenschaftliche Arbeit) und nicht eine reine Prüfungsleistung in dem Sinn, wie es die Juristen verstehen. Deshalb scheint es nicht sinnvoll, die für die Anfertigung der Diplomarbeit vorgesehene Zeit von Lehrveranstaltungen freizuhalten. Auf Grund dieser Diskussion beschließt die Konferenz mit 34 Ja-Stimmen und 2 Enthaltungen:

Die Konferenz der Vorsitzenden der mathematischen Fachbereiche stellt fest, daß das Studium der Mathematik im Diplom-Studiengang einschließlich der Anfertigung der Diplom-Arbeit in der Regel mindestens 9 Semester dauern muß. Die Diplom-Arbeit ist nicht nur eine Prüfungsleistung, sondern auch ein wesentlicher Teil der Ausbildung. Für die Ablegung der Diplom-Prüfung muß dem Kandidaten ein weiteres Semester zugebilligt werden.

Die Regelstudienzeit im Sinne des Hochschulrahmengesetzes (unter Einschluß der für die Anfertigung der Diplom-Arbeit und für die Ablegung der Diplom-Prüfung erforderlichen Zeit; vgl. §16 Abs. HRG) müßte demnach mindestens 10 Semester betragen.

Die genannten Zeiten sind sowohl mit der Rahmenordnung für die Diplomprüfung in Mathematik (§3 Abs.3 und §17 Abs.5) als auch mit den "Allgemeinen Bestimmungen für Diplomprüfungsordnungen" (Fassung vom 21.3.1975, §3 Abs.2 und §18 Abs.5) verträglich. Sie sind erheblich kürzer als bisherige Durchschnittszeiten. Bei einer weiteren Verkürzung könnte das Ausbildungsziel nicht mehr erreicht werden.

Herr Puppe weist darauf hin, daß es nicht ratsam ist, die Festlegung einer Regelstudienzeit ohne Einschluß der für die Anfertigung der Diplom-Arbeit erforderlichen Zeit zu akzeptieren. Erstens besteht die Gefahr; daß die gleiche Semesterzahl später als Regelstudienzeit unter Einschluß der Diplom-Arbeit (wie im Hochschulrahmengesetz) interpretiert wird. Zweitens würde die Festlegung einer Regelstudienzeit ohne Diplom-Arbeit es ausschließen, daß der Studienplan Lehrveranstalgungen vorsieht, die während der Anfertigung der Diplom-Arbeit besucht werden sollen (z.B.Seminare für Examenskandidaten). Das hätte die weitere Folge, daß solche Lehrveranstaltungen weder bei Kapazitätsberechnungen noch bei der Berechnung der notwendigen Personalausstattung noch bei der Überprüfung der Erfüllung von Lehrverpflichtungen berücksichtigt würden.

TOP 3 Kurzstudiengänge. (Es handelt sich hier nicht um den Studiengang zum SI-Lehrer, sondern um andere Abschlüsse, die unter dem Diplom liegen). Folgende Punkte werden erwähnt: Die Zahl der Diplomstudenten ist zu hoch (z.Z. ca. 15000); es könnte sinnvoll sein, einen niedrigeren Abschluß einzuführen, bei dem die weitere Qualifikation im Berufsleben stattfindet. Die Einführung von Kurzstudiengängen kann zur Verschlechterung der Berufschancen für Diplomstudenten führen. Wir können nicht für Kurzstudiengänge plädieren (etwa 6 Semester), wenn wir andererseits sagen, daß für den Diplomstudiengang mindestens 10 Semester nötig sind. Das Diplomstudium soll attraktiver gestaltet werden: Diplom in Mathematik mit Nebenfach Wirtschaftswissenschaft oder Informatik; Diplom in Informatik mit Nebenfach Mathematik.

Das Ergebnis der Diskussion kann wie folgt zusammengefaßt werden. Die Konferenz spricht sich gegen die Einführung von Kurzstudiengängen aus; sie schlägt vor, die vorhandenen Studiengänge durch Differenzierung attraktiver zu gestalten. Dieses Thema soll bei einer späteren Sitzung erneut auf die Tagesordnung gesetzt werden.

TOP 4 Kapazitätsverordnung, Richtwerte für die Personalausstattung, Lehrverpflichtung. Die Höchstzahlen des letzten Jahres wurden nur zu etwa 62% ausgeschöpft (Lehramt etwas höher als Diplom). Auf Grund der Bewerberzahlen und der festgesetzten Höchstzahlen (Diplom 2900 :4100, Lehramt 4730 :4057) ist auch für dieses Jahr bei weitem keine volle Auslastung zu erwarten. Die Relationen zu anderen Fächern haben sich zu Ungunsten der Mathematik verschoben. Zunächst wurde vom Wissenschaftsrat für Mathematik und Physik der gleiche Lehraufwand angenommen. Für die Kapazitätsberechnung wurden Curricular-Richtwerte für Mathematik 3,2 und Physik 4,5 angenommen. Für Mathematik hat die ZVS inzwischen 3,2 beschlossen; der Wert für Physik dürfte zwischen 4,5 und 4,8 festgelegt werden.

Es besteht keine Einigkeit darüber, ob man die KapVo als gegeben annehmen und mit den Ministerien auf dieser Basis verhandeln soll, oder ob man die KapVo ablehnen und vom Fach her argumentieren soll. Es erscheint jedoch nötig; bei der Festlegung von Studienordnungen die Auswirkungen auf die Kapazitätsberechnung zu beachten. Für die nächste Runde ist dies ohne Bedeutung, da nur mit Richtwerten gearbeitet werden soll (die z.Z. festgelegt werden). Diese Richtwerte sollen aber regelmäßig durch Kontrollrechnungen im Sinne der bisherigen Kapazitätsberechnung überprüft werden. Inzwischen liegt den Universitätspräsidenten der Entwurf der neuen Kapazitätsverordnung (Richtwerte) vor (der genaue Inhalt war der Konferenz noch nicht bekannt).

Der Wissenschaftsrat schlägt neuerdings Personalrichtwerte vor. In der Diskussion ist für Mathematik die Zahl 2,66 Studienanfänger pro wissenschaftliche Stelle im Jahr (Zum Vergleich: dieser Wert ergibt sich, wenn in der KapVo ein Curricularrichtwert von 4,2 benutzt wird). Es handelt sich dabei um eine Abschätzung des Normalzustandes, nicht um eine Höchstbelastung, wie sie der KapVo zugrunde liegt. Diese Berechnung benutzt ein durchschnittliches Deputat von 5,59 (Prof.-Doz 7, Akad. Räte 12, Ass.-Prof. - Wiss.Mitarbeiter 3). Der Personalrichtwert für Physik liegt bei 2,0.

Die Kontrolle der Einhaltung der Lehrverpflichtung wird in den Ländern sehr verschieden praktiziert (gar keine Kontrolle bis zu sehr detaillierten Fragebogen). Es wird vorgeschlagen, bei diesen Kontrollen nur so viele Stunden anzugeben, wie es der Lehrverpflichtung entspricht. Der Wunsch nach "Messung" der Forschung (und damit eine mögliche Entlastung von aktiveren Forschern in der Lehre) wird allgemein abgelehnt.

Es wird darauf hingewiesen, daß in den Ministerien die (unentgeltliche) Gutachtertätigkeit der Mathematiker (Promotionen, Habilitationen, Stipendien, Zeitschriften, Referatenjournale) weitgehend unbekannt sind. (oder als z.T. hochbezahlte Nebentätigkeiten angesehen werden).

Wie in der Praxis die Betreuung von Abschlußarbeiten auf die Lehrverpflichtung angerechnet wird, ist noch weitgehend unklar. Nach KapVo bedeutet eine Diplomarbeit 0,6 SWS (für ein Semester).

TOP 5 Nachwuchsförderung. Es werden die Probleme des wissenschaftlichen Nachwuchses ausführlich diskutiert. Die Zahl der z.Z. beschäftigten Wiss. Mitarbeiter; Wiss. Assistenten und Assistenz-Prof. im Vergleich zu den Mathematikern in Lebenstellungen zeigt, wie gering die Chancen des wiss. Nachwuchses auf eine Dauerstellung sind: Folgende Bemerkungen werden gemacht: Man sollte nicht zu viele Mitarbeiterstellen in Dauerstellen umwandeln; diese wären in kürzester Zeit für viele Jahre besetzt. Die Anstellung als wiss. Mitarbeiter sollte keine Einbahnstraße für Hochschullehrernachwuchs sein; die Stellen sollten so ausgestaltet werden, daß zusätzliche Qualifikationen für Aufgaben außerhalb der Universität erworben werden können. Eine Anstellung sollte in der Regel nur bis zur Promotion erfolgen; danach nur noch für solche Personen, die voraussichtlich die Qualifikation zum Hochschullehrer erwerben werden. In München ist beabsichtigt, besonders qualifizierte Habilitierte zu H1-Bedingungen (auf ihrer alten Stelle) weiterzubeschäftigen (dies führt zu einer "automatischen Steuerung" des Nachwuchses, da bei wenigen Berufungen viele Stellen durch Habilitierte blockiert sind).

TOP 6 Doktorgad in Didaktik der Mathematik. Die Pläne sehen sehr unterschiedlich aus. Gießen: Zwei verschiedene Grade, die jeweils von allen naturwissenschaftlichen Fachbereichen vergeben werden. Frankfurt: Dr.phil.nat. "im Fach Mathematik" bzw. "im Fach Didaktik der Mathematik" (das Fach soll im Zeugnis genannt werden). Bielefeld: Dr.math. und Dr.did.math. wurden nicht genehmigt; es wurde vom Ministerium für Didaktiker der Dr.päd. empfohlen; der bereits von den Erziehungswissenschaften vergeben wird. München: Zur Zeit ein Grad mit Angabe des Faches; die Frage ob ein zweiter Grad eingeführt werden soll, ist umstritten.

Es wird davor gewarnt, für Dissertationen mit Schwerpunkt in Erziehungswissenschaften den gleichen Dr.-Grad zu vergeben wie für mathematische Dissertationen. Promotionen mit didaktischen Arbeiten, deren Schwerpunkt in der Mathematik liegt, sollten vom gesamten Fachbereich Mathematik getragen werden, das Niveau sollte dem der mathematischen Arbeiten entsprechen. Es wird erwähnt, daß der Doktorgrad in Didaktik der Mathematik möglicherweise besondere Berufschancen eröffnet.

Die Konferenz gibt keine Empfehlung, welcher Grad vergeben werden soll. Sie weist auf die gemeinsame Verantwortung hin, die der gesamte Fachbereich Mathematik bei der Vergabe des Doktorgrades für Arbeiten aus dem Gebiet Didaktik der Mathematik trägt.

TOP 7 Lehrerausbildung, Prüfungsordnungen, Studienordnungen. Den Schwerpunkt der Diskussion bildet die Ausbildung des Stufenlehrers. Nordrhein-Westfalen hat ein Lehrerbildungsgesetz, das eine Ausbildung von SII-Lehrern mit 80 SWS im ersten Fach und 40 SWS im zweiten Fach vorsieht. (Bielefeld hält ein Verhältnis von 7:5 für erreichbar.) Ähnliche Bestrebungen in Hessen wurden noch vor wenigen Monaten vom Ministerium dementiert. In Baden-Württemberg werden verschiedene Modelle praktiziert (60+µ : 60-µ oder 80:80). In Hessen scheint noch nicht geklärt, ob die mit 40 SWS in Mathematik ausgebildeten Lehrer wirklich die Fakultas für die Oberstufe erhalten sollen.

Das Verhältnis 2:1:1 (erstes Hauptfach : zweitem Hauptfach : Erziehungswissenschaften) geht auf eine Hamburger Vereinbarung (1972) der KM zurück und dürfte deshalb durch Landesgesetze auf alle Universitäten zukommen.

Es wird festgestellt, daß offenbar die didaktische Ausbildung an der Universität zahlreiche Aufgaben übernommen hat, die früher in die Referendarausbildung gehört haben. Der Tagesordnungspunkt "Stufen-Lehrerausbildung" soll auf der nächsten Sitzung erneut diskutiert werden.

TOP 8 Verschiedenes.

a) Als nächster Termin wird der 17./18.Juni 1977 in Aussicht genommen. Herr Weidmann (Frankfurt) wird erneut gebeten, die Durchführung zu übernehmen. Die Sitzung soll wieder in Frankfurt stattfinden. Es ist nicht beabsichtigt, weiterhin in jedem Semester zu tagen; vielmehr sind auf die Dauer jährliche Treffen geplant.

b) Herr Walter (Karlsruhe) schlägt vor, bei der nächsten Sitzung eine inhaltliche Diskussion des Diplomstudienganges durchzuführen. Die Konferenz stimmt dem zu mit der Maßgabe, daß in einleitenden Referaten unterschiedliche Standpunkte vertreten werden.

J.Weidmann